Erfolgsrezept: Leidenschaft

…für die angewandte Kunst

Wir sprachen mit Dirk Allgaier, Inhaber von Arnoldsche Art Publishers, über seinen Verlag, die angewandte Kunst heute und die unverwechselbare Qualität des gedruckten Buches.

Text: Paulina Tsvetanova

 Dirk Allgaier Arnoldsche Verlag

Dirk Allgaier mit Brosche von Babette von Dohnanyi. Foto: Miriam Künzli

Herr Allgaier, Arnoldsche Art Publishers ist meines Wissens der einzige deutsche Verlag, der sich auf dem Gebiet der angewandten Kunst spezialisiert hat. Durch Ihre Schwerpunktbereiche Schmuckkunst & Keramik tragen Sie einen beachtlichen Beitrag zur Bekanntmachung dieser im mitteleuropäischen Raum etwas vernachlässigten Künste bei. Was unterscheidet Sie von anderen Kunstbuchverlagen?

Rein organisatorisch und was die Herstellung wie auch den Vertrieb betrifft unterscheidet uns vermutlich nicht so viel von anderen Kunstbuchverlagen. Ich denke, es ist die Leidenschaft, mit der wir nicht nur hinter unseren Büchern stehen, sondern die wir auch für die angewandte Kunst ganz persönlich hegen. In unseren Verlagsräumen in Stuttgart sind nicht nur viele Bücher zu diesen Themen (auch von anderen Verlagen) zu finden, sondern auch, um die von Ihnen genannten Bereiche aufzugreifen, Schmuckobjekte und Keramiken zahlreicher internationaler Künstlerinnen und Künstler ausgestellt. Neben einer kleinen hauseigenen Sammlung sind wir auch persönlich an diesen Kunstformen interessiert. Meine ganz besondere Leidenschaft liegt zum Beispiel in der zeitgenössischen Künstlerkeramik, aber auch im Autorenschmuck.

Darüber hinaus verleihen wir unserer Begeisterung für diese Kunstformen seit 2015 auch in einer zwei Mal jährlich stattfindenden Ausstellungsreihe, der „arnoldsche weekend art gallery“, Ausdruck. So hatten wir bereits die Gelegenheit und das ganz große Vergnügen, Ende 2015 keramische Arbeiten von Beate Kuhn und Sebastian Scheid sowie diesen Sommer Schmuckobjekte von Mari Ishikawa und keramische Skulpturen von Thomas Bohle in unseren Verlagsräumen auszustellen. Im November dieses Jahres werden wir die Reihe mit Schmuck von Silvia Weidenbach und Keramik von Karl Fulle fortsetzen, worauf ich mich schon ganz besonders freue.

Wie schätzen Sie die Szene der angewandten Kunst / Design in Deutschland ein? Wie sehen Sie ihre Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken?

Die „Szene“ der angewandten Kunst in Deutschland ist recht klein und überschaubar. Das ist zum einen von Vorteil, denn das birgt Chancen auf großes Wachstum. Die Herausforderung besteht darin, das Einzigartige, Unverwechselbare und Unnachahmbare der Objekte in den Mittelpunkt zu stellen. Man sollte versuchen, das „Markendenken“ aus den Köpfen der potentiellen Käufer zu bekommen, diese sollten Dinge wieder sehen, wahrnehmen, fühlen können. Es gehört nichts groß dazu, bei einer entsprechenden potentiellen Kaufkraft einen Schmuck von Cartier, Chanel oder Versace zu tragen, das ist fast schon beliebig und austauschbar. Dagegen ist es doch viel spannender, kommunikativer und gesellschaftlich relevanter, einen Schmuck von Bernhard Schobinger, Otto Künzli, Daniel Kruger oder Tone Vigeland am Körper zu tragen. Und dazu noch um einen Bruchteil an Kosten. Hier sehe ich auch eine Chance für Einsteiger. Auch eine gestalterisch auf höchstem Niveau stehende Skulptur aus Keramik oder Glas kann ich bereits für einige hundert Euro erwerben. Und das für ein Unikat-Objekt, da müssen Sie bei den Bildenden Künsten lange suchen.

Was kann die angewandte Kunst / das Kunsthandwerk von der bildenden Kunst lernen und umgekehrt?

Meiner Meinung nach ist die Trennung zwischen angewandter und bildender Kunst eine rein akademische. Wenn Sie sich auf das Abenteuer Künstlerkeramik oder Schmuckkunst oder Studioglas einlassen, werden Sie schnell feststellen, dass es sich lediglich um andere, aber gleichwertige, hoch komplexe künstlerische Ausdrucksformen handelt, die in nichts den vermeintlich kanonischen Künsten der Malerei, Skulptur, Architektur, Fotografie oder der Performancekunst nachstehen. Die Rezeption dieser Kunstformen ist beispielsweise in den skandinavischen Ländern schon viel offener als bei uns in Deutschland. Oder denken Sie an den Turner-Preis, der 2003 an Grayson Perry verliehen wurde. Das war eine Sensation, denn der renommierte Kunstpreis wurde in diesem Jahr einem „Keramiker“ verliehen, was zu Schlagzeilen führte und zeigt, dass sich zwar die Jury des Wertes der künstlerischen Ausdrucksform „Keramik“ bewusst war, die berichtenden Medien jedoch weniger. Vielleicht lernen die Künste weniger voneinander als dass sie sich gegenseitig befruchten? In jedem Fall ist es uns mit unserem Verlagsprogramm ein Anliegen, auch den sogenannten angewandten Künsten ein Forum zu bieten, das sie unserer Meinung nach absolut verdienen.

Erst kürzlich habe ich ein Interview mit dem Galeristen Jörg Johnen in der ZEIT gelesen, anlässlich der Aufgabe seiner Galerie für zeitgenössische Kunst. Er lenkt darin den Blick auf die Künstlerkeramik, die in den letzten 20 Jahren ziemlich in Vergessenheit geraten ist. Für ihn ist sie ein spannender Gegenpol zum ständigen Gesample und Gebastel der jungen Gegenwartskunst, zur „Mausklickkunst“ wie er sagt, die über kurz oder lang einfach nur ermüde. Er attestiert der Gegenwartskunst kaum noch Tiefe des Denkens und Erlebens. Genau das aber finde ich in den angewandten Künsten, und vielleicht ist es das, was die bildende Kunst von ihnen wieder (er)lernen kann?

Sie sind seit 2015 Verlagsinhaber von Arnoldsche Art Publishers, wo Sie seit über 20 Jahren tätig sind und lange für die Betreuung der internationalen Verlagspartner zuständig waren. Erzählen Sie uns ein wenig über Ihre berufliche Laufbahn, angefangen von Ihrem Studium der Archäologie bis hin zu Ihrer Herausforderung als Verlagsinhaber.

1992 habe ich mein Archäologiestudium mit dem Magister abgeschlossen. Mein Wunsch war es schon immer, in einem Verlag zu arbeiten. Daher habe ich im Anschluss an das Studium bei Klett in Stuttgart eine verlagskaufmännische Ausbildung angefangen. Teil dieser Ausbildung waren drei Praxismonate in einem Verlag. Diese habe ich bei der Arnoldschen als Praktikant durchgeführt. Nach Ende der drei Monate habe ich meine Ausbildung gar nicht mehr abgeschlossen, sondern gleich bei der Arnoldschen weitergearbeitet, als erster fest angestellter Mitarbeiter.

In der Rückschau ist es schon faszinierend zu sehen, wie sehr sich die Verlagsarbeit in diesen 20 Jahren professionalisiert und internationalisiert hat. Auch den Wechsel der Einkaufsgewohnheiten des Endkunden vom Buchhandel hin zu den Online-Einkäufen (meist bei Amazon) konnte ich gut nachvollziehen. Früher war der Buchhandel ein verlässliches Bindeglied auch für kleinere und spezialisierte Verlage hin zum Endkunden. Das ist heute bei weitem nicht mehr der Fall, da zum einen die Hälfte des Buchhandels von vor ca. 20 Jahren nicht mehr existiert und viele Buchhandlungen es sich nicht mehr leisten können, ein groß angelegtes Sortiment in ihrem Laden zu führen. Das sehe ich als eine große Herausforderung an, unsere potentiellen Kunden weltweit möglichst professionell und umfassend über unser Verlagsprogramm auf dem Laufenden zu halten.

Heutzutage kennen viele nicht mehr das Gefühl, ein gedrucktes, haptisches Buch durchzublättern, zu riechen. Im Zeitalter der sozialen Medien verlernen viele junge Menschen nicht nur das Lesen von Printmedien, sondern kennen auch die damit verbundenen sinnlichen Empfindungen nicht. Somit geht extrem viel Lebensqualität verloren. Wie sehen Sie diese Entwicklungen und was tun Sie als Verlag dagegen?

Ich finde es wunderbar, dass Sie auf die haptischen Eigenschaften des Mediums Buch abheben. Die kann Ihnen kein digitales Derivat bieten! Aber vergessen Sie dabei nicht die Gestaltung eines Buches, die nicht der dynamischen Seitengestaltung eines E-Books unterworfen ist. Jede Seite – oder in unserer Perspektive Doppelseite– ist komponiert! Ob Künstlermonografie/Künstlerbuch oder musealer Bestandskatalog, ein Buch besitzt seinen eigenen Rhythmus, seine Struktur, seine Abfolge, die nur im Durchgehen durch das ganze Buch erfasst werden kann. Wenn auch ein (angeblich nur) analoges Medium, so ist es doch ein eigenständiges Format – neben einer Ausstellung, einem Online-Auftritt, einer Datenbank usw. – und dieses Format kann (zumindest bislang) nichts gleichwertig ersetzen!

Für uns ist ein Buch in der Gestaltung die visuelle Übersetzung des Werkes eines Künstlers oder einer Sammlung oder eines Themas in die zweidimensionale, gedruckte Buchform. Zudem überlegt ein Autor zwei Mal, was er denn niederlegt, es wird nicht „so schnell geschossen“ wie im Internet. Ein Buch bietet zu Ende gedachte Überlegungen, auf die man sich beziehen kann, eben keine Schnellschüsse.

Ich bin übrigens nicht der Meinung, dass junge Menschen heute nicht mehr lesen würden oder wüssten, was ein Buch ist. Auch junge Menschen, und wer fühlt sich denn nicht als solcher, wissen um das Erlebnis und den Mehrwert „Buch“. Problematischer erscheint mir vielmehr, dass sich immer weniger Menschen für angewandte Kunst interessieren und diese auch sammeln, was für mich heißt, sich mit diesen Kunstwerken im Alltag zu umgeben. Der Kunstmarkt ist vielleicht ein wenig zu sehr in einen Anlagemarkt abgedriftet, was es den angewandten Künsten vermeintlich schwer macht mitzuhalten oder – auf der anderen Seite – den angewandten Künsten die Chance bietet, durch ein echtes, authentisches Auftreten an Glaubwürdigkeit zu gewinnen.

Was wir als Verlag dagegen tun? Nun, wir veröffentlichen weiterhin herausragende Bücher zu unserer Meinung nach dringend beachtenswerten künstlerischen Positionen der sogenannten angewandten Kunst der Gegenwart. Sollte ich an dieser Stelle Bücher anführen? Vermutlich nicht, aber Sie sollten unbedingt „Leidenschaft für Keramik. Sammlung Frank Nievergelt“ zur Kenntnis nehmen, die Publikation einer hervorragenden, mit Bedacht und Kennerblick ausgewählten Sammlung von Künstlerkeramik der letzten 40 Jahre. Oder aber die Publikation „Barbara Cartlidge and Electrum Gallery“, die Dokumentation über die Galeristin und die Galerie schlechthin, die neben lediglich zwei anderen der Schmuckkunst im 20. Jahrhundert zu einer Stimme verholfen hat!

Haben Sie eine Lieblingspublikation?

Ich liebe jede einzelne unserer Publikationen! Bei unseren Keramikpublikationen sind meine Favoriten die beiden Bände „Gefäß / Skulptur“ des GRASSI Museums Leipzig, die die außergewöhnliche Vielfalt und Schönheit der zeitgenössischen Studiokeramik dokumentieren und von Kennern inzwischen als „Bibel der Keramikpublikationen“ bezeichnet werden. Aber auch die wunderschönen Keramik-Monografien über den Österreicher Thomas Bohle, den Norweger Torbjørn Kvasbø oder den Japaner Yasuhisa Kohyama zählen zu meinen „Lieblingsbüchern“. Im Schmuck natürlich die Dokumentation der Schmucksammlung von Helen Drutt „Ornament as Art“, 2007 in Zusammenarbeit mit dem Museum of Fine Arts Houston erschienen und schon längst vergriffen. Aber auch die Schmuckmonografien zu Thomas Gentille, Mari Ishikawa oder Daniel Kruger sprechen mich in ihrer Individualität und Nähe zum Werk der Künstler sehr an. Ganz besonders nahe stehen mir auch die drei Bände „Fired by Passion“ mit über 1.400 Seiten über das frühe Wiener Porzellan von DuPaquier, die 2009 im Metropolitan Museum in New York präsentiert wurden.

Erzählen Sie uns etwas über Ihre aktuellen Projekte.

Wir arbeiten momentan an über 20 Publikationen. Sie sind alle spannend! So viel verrate ich Ihnen vorab. Dieses Jahr erscheinen noch Bücher z.B. über Edgar Degas, über das zeichnerische Werk von Schmuck-Künstlern, über den russischen Architekten des Konstruktivismus Boris Velikovsky, über japanisches Essen und seine verschiedenen kulturellen Aspekte sowie über Schmuck aus Edelstein und anderen Materialien der letzten zehn Jahre aus Idar-Oberstein. Die Auswahl dieser wenigen Bücher zeigt jetzt schon die große Spannbreite unserer diesjährigen Publikationen auf. Nicht zu vergessen die „Fliegenden Blätter“, eine historische Sammlung von Flugblättern aus dem 15. und 16. Jahrhundert, ein kultureller Schatz erster Güte, den zu publizieren wir für eine sehr große Ehre ansehen. Und das alles in einem kleinen Team von vier fest angestellten ambitionierten Mitarbeitern, die sich alle sehr stark mit der Ausrichtung unseres Verlagsprogramms identifizieren.

Wie sehen Sie die Zukunft von Arnoldsche Art Publishers, Herr Allgaier?

Rosig, was sonst? Teilte ich die immer wieder verbreitete Meinung, das Kunstbuch sei am Ende, müsste ich doch meinen Job an den Nagel hängen! Das gut gemachte, qualitativ hochwertige Kunstbuch hat seinen Platz in unserem Leben und damit eine Zukunft. Kein online zugänglich gemachter, mehr oder weniger fundierter oder auch nur aktueller musealer Bestandskatalog, keine Pinterest-Seite, kein Facebook-Account eines Künstlers, kein mittelmäßig editierter Wikipedia-Eintrag kann Ihnen den Mehrwert eines überlegt, geplant und sorgfältig hergestellten Buches bieten. Und da muss ich nochmal auf die „visuelle Übersetzung“ in Buchform zu sprechen kommen, ein Buch ist komponiert, es eröffnet Ihnen einen unnachahmlichen, nicht anderweitig zu generierenden Zugang zu einem Thema, insbesondere im Bereich des Kunstbuches. Lassen Sie sich darauf ein, genießen und entdecken Sie – es ist ein Weg, Kunst zu entdecken! Das Original sollte man aber immer anschauen, das ist ein nochmal ganz anderes Erlebnis. Für die atemberaubenden Schmuckobjekte von Silvia Weidenbach und die begeisternden Keramikarbeiten von Karl Fulle empfehle ich daher unsere „arnoldsche weekend art gallery“ vom 11. bis 13. November, denn nichts – nicht einmal ein Buch – ersetzt das Original!

Diese Publikationen von ARNOLDSCHE finden Sie bei PAULINA’S FRIENDS im Bikini Berlin: